Ein toller Gastbeitrag von einem unserer Blogleser. Besten Dank!
Vor langer, langer Zeit kamen einst zum ersten Mal nach der Jagd Menschen zusammen, um ihre Beute gemeinsam zu verzehren und Geschichten darüber auszutauschen, wie sie diese für sich erringen konnten. Aus einem Treffen wurden erst zwei, dann viele, und schließlich war es zu der Menschen liebster Zeitvertreib geworden, so beieinander zu sitzen. Aus Einzelpersonen wurden Paare, dann Jagdgruppen und schließlich Stämme, die allein durch das Gefühl der Gemeinsamkeit verbunden waren.
Diese Geselligkeit gefiel dem Feuergott, denn sie war der seiner Flammen ähnlich. Wo immer eine von ihnen einen angenehmen Ort fand, rief sie sogleich alle Brüder und Schwestern herbei, um dort mit ihnen zu tanzen. So beschloss der Feuergott, den Menschen seine Aufwartung zu machen und gemeinsam mit ihnen zu feiern.
Trotz anfänglicher Furcht nahmen ihn die Menschen schließlich in ihrer Mitte auf, wo er Ehrengast jeder Feierlichkeit wurde. Denn seine Flammen spendeten ihnen Licht und Wärme, und durch sie wurde jede Nahrung noch köstlicher. So kam es, dass ein Pakt zwischen dem Feuergott und den Menschen geschlossen wurde. Sie gelobten, ihm Ehre und Opfer zu Teil werden zu lassen, während er die Kraft des Feuers in ihre Dienste stellte. Die Flammen wurden Diener der Menschen und brachten Helligkeit, ohne zu blenden, Wärme, ohne zu versengen, und garten die Speisen so, wie es recht war.
Doch mit der Zeit wurden die Menschen überheblich und selbstgefällig. Sie wähnten sich als die eigentlichen Herren des Feuers und vernachlässigten den Dienst an dessen Gott, bis dieser wutentbrannt den alten Pakt auflöste. Doch da der Mensch noch immer nicht die Kontrolle über das Feuer aufgeben wollte, befahl der Gott dem Feuer, fortan seine Zähne zu zeigen und des Menschen Feind zu sein.
Deshalb ist das Feuer heute unser Gefangener, den es sorgfältig zu hüten gilt. Es wird jede Gelegenheit nutzen, um über uns herzufallen und uns zu verzehren. Benutzen wir es zum Kochen, so trachtet es danach unsere Nahrung in Asche zu verwandeln. Und blickst du in die Sonne, welche das Auge des Feuergottes ist, so wirst du seinem zornigen Blick nicht lange standhalten können. Schon die flüchtige Berührung einer heißen Herdplatte wird genügen, um dir die Wut des Feuers deutlich zu machen.
Ich habe mir dieses Märchen gerade eben erst ausgedacht, aber in seiner Fähigkeit darin, mythologisch-spirituelle Erklärungsmodelle für unsere Welt zu liefern, steht es den anderen Vertretern seiner Zunft in nichts nach. Wenn ich wollte, könnte ich mich nun bei den Leuten einreihen, die auf rationale Kritik mit „das Gegenteil ist nicht bewiesen, also muss es als potentiell wahr gewertet werden“ reagieren. Zur Verteidigung meiner Fantasie stehen zahllose weitere Mittel zur Verfügung – ich kann z.B. behaupten, dass es sich um uraltes überliefertes Geheimwissen handelt, dass mir der Feuergott persönlich die Geschichte erzählt hat, oder dass ich die Fähigkeit besitze, durch Meditation die Vergangenheit zu sehen. Eines haben diese Erklärungen aber alle gemein: Sie sind fiktional.
Ich spreche hier bewusst nicht von „fiktiv“, da sich ihr Wahrheitsgehalt so ohne Weiteres nicht überprüfen lässt. Aber es handelt sich auch bei den Erklärungsversuchen um Geschichten, die in andere Geschichten hinein gewebt werden, die sie unterfüttern und die sich um sie herumwinden. Ich erschaffe ein fiktionales Universum, das in sich und für sich genommen funktional wahr ist.
Es gibt nur ein Problem dabei: Der objektiven Realität ist meine Ansicht herzlich egal. Seit sie mit dem Urknall aus dem Reich der Meta-Existenz verbannt wurde, ist sie eine verbitterte alte Schachtel geworden, die sich nicht mehr auf Diskussionen einlässt. Nein halt, ich fange schon wieder an Märchen zu erzählen…
Es bleibt jedenfalls festzuhalten, dass immer da, wo Fiktionalität und Realität in Konflikt miteinander geraten, das Fiktionale den Kürzeren ziehen wird. Finde ich mich eines Tages in einem brennenden Haus wieder und habe die Wahl, mein Glück entweder mit einem Fluchtversuch oder einem Stoßgebet an den Feuergott zu versuchen, werde ich nur in einem von beiden Fällen tatsächlich eine Chance haben. Der andere Weg ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Wie aber halte ich jetzt Realität und Fiktionalität auseinander? Nun, dafür haben sich die Menschen ein verblüffendes System ausgedacht: Die Wissenschaft. Bei ihr handelt es sich um eine Methode, die versucht, den menschlichen Faktor möglichst weit aus dem Vorgang der Wahrnehmung auszublenden. Dabei geht es aber nicht darum, ein möglichst „unmenschliches“ Ergebnis zu erzielen, sondern tatsächlich darum, eines zu finden, das auf möglichst viele Menschen zutrifft. Verbrennt sich eine Person die Hand an einer heißen Herdplatte, so kann ich nicht wirklich etwas dazu sagen. Machen zwei Personen die gleiche Erfahrung, lassen sich bereits Tendenzen vermuten. Hat bisher noch jeder, der auf eine heiße Herdplatte gelangt hat, sich auch daran verbrannt, kann ich von einer wissenschaftlichen Gewissheit sprechen. Egal wie ich mir das auch erkläre, „heiße Herdplatte = Aua“ bleibt eine Konstante.
„Mooooment“ höre ich da einige Leute rufen, „aber wie ist das denn im Fall dieses Beispiels hier? Woher weiß ich jetzt, ob sich die Leute wegen der Rache des Feuergotts verbrennen?“
Tja, liebe Leute – willkommen an der Grenze der Wissenschaft. Diesem System sind nämlich klare Grenzen gesetzt, die es nicht überwinden kann. Was von Kritikern aber gerne als Makel gesehen wird, ist mitnichten ein Fehler, sondern eine Notwendigkeit. Will man abgesicherte Ergebnisse haben, muss man notgedrungen das Fiktionale meiden. Das Definitive lässt sich nur dort finden, wo das Beliebige eliminiert wurde. Dementsprechend kann die Wissenschaft nur da fungieren, wo sich die Möglichkeit und Unmöglichkeit der Dinge überprüfen lässt. Aus dieser Erkenntnis lassen sich nun folgende Schlussfolgerungen ziehen:
1. Die Wissenschaft beschäftigt sich nicht mit Spekulativem
Wir wissen, dass man sich die Finger an der heißen Herdplatte verbrennt und können diesen Umstand beschreiben. Ob da ein zorniger Feuergott dahinter steckt, ist aber im Alltag nicht relevant für uns. Wir können Warnanzeigen für eingeschaltete Platten, Induktionsfelder und Brandsalbe machen. Der Feuergott kann bleiben wo der Pfeffer wächst.
2. Keine Behauptungen ohne Fakten
Du glaubst aber, dass der Feuergott trotzdem existiert? Dann musst Du Fakten dafür liefern. Ansonsten gibt es keinen Grund, warum man dieser Geschichte den Vorzug vor anderen geben sollte. Ich könnte auch noch fünf andere Märchen aus dem Ärmel schütteln, wenn ich wollte. Warum sollte ich eine von ihnen bevorzugen?
2a. Fakten müssen belegt werden
Einen Stammtischkumpel dazu zu bringen, Dir zuzustimmen, indem Du ihm ein Bier ausgibst, ist kein gültiger Beleg. Besser wäre es, die Mythologie diverser Volksstämme auf Gemeinsamkeiten in der Verehrung von Feuergöttern zu überprüfen, daraus ein ursprüngliches Ritual abzuleiten und unter dessen Schutz eine Herdplatte anfassen, ohne sich zu verbrennen. Das nennt man dann Wissenschaft.
3. Kein „Aber es kann doch trotzdem sein.“
Du bist also überzeugt davon, dass der Feuergott existiert, aber Du kannst es nicht beweisen, weil er auch auf die alten Gebete nicht mehr hört? Pech gehabt – wissenschaftliche Akzeptanz wirst Du so nicht finden. Das ist aber auch nicht nötig. Ein desinteressierter Gott unterscheidet sich in seiner Funktion nicht von einem, der nicht existiert. Und nur darauf kommt es bei der Wissenschaft an (siehe 1.).
4. Wissenschaft kennt keine Toleranz
Dahinter steckt keine böse Absicht, sondern die schon zuvor erwähnte Strukturgebundenheit. Dort, wo es hell ist, ist keine Dunkelheit. Dort, wo es trocken ist, ist kein Wasser. 1 ist 1, weil es keine andere Zahl ist. Dementsprechend ist auch Wissenschaft nur da, wo Spekulatives nicht ist. Toleranz ist ein wichtiger Aspekt menschlichen Umgangs miteinander. Wissenschaft funktioniert aber eben dadurch, den objektiven Raum von subjektiven „Verunreinigungen“ zu säubern.
Wer nun versucht, eine wissenschaftliche Diskussion zu führen, dabei aber diese Regeln missachtet, ist einfach auf der falschen Baustelle. Also liebe Kommentatoren, tut allen Leuten auf diesem Blog einen Gefallen und verinnerlicht erst diese Regeln, bevor Ihr postet.
Ansonsten trifft Euch der Zorn des Feuergottes.